Gouvernement Idlib

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Idlib/إدلب
Idlib
Die Lage der Provinz in SyrienLibanonJordanienSaudi-ArabienTürkeiIrakIsraelWestjordanland (de-facto Israel - teils unter Verwaltung der palästinensischen Autonomiebehörde)Golanhöhen (de-facto Israel - von Syrien als Teil von Quneitra beansprucht)QuneitraDarʿāas-SuwaidaDamaskusRif DimaschqTartusLatakiaal-HasakaIdlibHamaar-RaqqaAleppoDeir ez-ZorHoms
Die Lage der Provinz in Syrien
Die Lage der Provinz in Syrien
Basisdaten
Staat Syrien
Hauptstadt Idlib
Fläche 6097 km²
Einwohner 1.852.062 (2012)
Dichte 304 Einwohner pro km²
ISO 3166-2 SY-ID
Koordinaten: 35° 47′ N, 36° 41′ O

Idlib (arabisch مُحافظة إدلب, DMG Muḥāfaẓat Idlib) ist eines der 14 syrischen Gouvernements und liegt im Nordwesten des Landes an der Grenze zur Türkei. Auf einer Fläche von 6.097 km² leben 1.852.062 Einwohner nach einer Berechnung für 2012. Die Bevölkerungsdichte beträgt demnach 303,8 Einwohner/km².[1] Hauptstadt des Gouvernements ist Idlib.

Syrischer Bürgerkrieg

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Gouvernement war mit seiner strategisch wichtigen Lage im Syrischen Bürgerkrieg seit 2011 Schauplatz schwerer Kämpfe und Ziel zahlreicher Luftangriffe. Nachdem die Kämpfer der Terrororganisation Islamischer Staat weitgehend vertrieben waren, wurde das Gouvernement im Sommer 2017 in weiten Teilen von Angehörigen der dschihadistischen Gruppierung HTS kontrolliert, die ihren Nachwuchs an Kämpfern aus Flüchtlingslagern rekrutierten.[2]

Das Regime von Präsident Baschar al-Assad schloss im weiteren Verlauf des Krieges mehrere Übereinkommen mit den Verteidigern aufständischer Gebiete im ganzen Land, die ihre Stellungen aufgaben und dafür freies Geleit ins Gouvernement Idlib erhielten. In Idlib hatten sich neben den 1,6 Millionen ursprünglichen Einwohnern so im Kriegsverlauf bis März 2018 noch etwa eine Million Flüchtlinge angesammelt. Die Durchmischung von moderaten Aufständischen mit den oft islamistischen Kräften wurde als Taktik des Regimes gewertet, die Verteidiger insgesamt als vom Ausland gesteuerte Terroristen zu diskreditieren und so einen Vorwand für einen Angriff auf das Gouvernement zu schaffen, auf den die internationale Gemeinschaft nicht reagieren wird. Hochrangige arabische Beamte aus Amman und Beirut beschrieben die Lage im Gouvernement 2018 als „geschickt konstruierte Killbox“.[3]

Mitte August 2018 begann die syrische Armee mit Vorbereitungen für eine Offensive auf Idlib als letztes größeres Rebellengebiet im Land. Im Nordwesten Syriens wurden Dutzende Luft- und Artillerieangriffe ausgeführt, wobei unter anderem Kampfflugzeuge und Hubschrauber zum Einsatz kamen. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) kamen dabei mindestens 22 Menschen ums Leben.[4] Zuvor hatten Helikopter Flugblätter über Dörfern im Osten Idlibs abgeworfen, in denen die Einwohner aufgerufen wurden, sich zu ergeben.[5]

Im April 2019 begannen regierungstreue Truppen und die Luftstreitkräfte Russlands im Gouvernement Idlib im Rahmen ihres Militäreinsatzes in Syrien eine Offensive,[6] bei der zivile Infrastruktur, darunter Krankenhäuser, Schulen und Märkte systematisch zerstört wurden.[7][8][9]

Drei Millionen Menschen, zwei Drittel davon abhängig von humanitären Hilfen, da mehrheitlich Kinder und Flüchtlinge aus anderen Landesteilen unter ihnen sind,[10] leben in und um die Hauptstadt Idlib.[11]

Anfang Juni warnte der UN-Nothilfekoordinator in diesem Hinblick vor einer Fortsetzung der Offensive.[10][12]

Ende Juni waren durch die täglichen Bombardements[10] und Gefechte laut UN 330.000 Menschen zur Flucht in andere Gegenden des Gouvernements gezwungen.[13] Von Ende Juni 2019 bis Ende Juli 2019 starben Save the Children zufolge in dem Gouvernement mehr Kinder durch den Krieg als im gesamten Jahr 2018.[7] Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) berichtet von 837 zivilen Todesopfern zwischen dem 30. April 2019 und dem 28. Juli 2019 im Gouvernement Idlib.[14] Im selben Zeitraum wurden derselben Quelle zufolge 932 militärische Verluste auf syrischer Regierungsseite und 1007 auf Seiten der Rebellen gezählt, darunter 625 Dschihadisten.[14]

Im Oktober 2019 wurde in der US-amerikanischen Operation Kayla Mueller in Barischa mit Abu Bakr al-Baghdadi der Anführer des islamischen Staates getötet.

Ab Dezember desselben Jahres intensivierten die russischen und syrischen Streitkräfte die im April begonnene Offensive im Süden und Osten des Gouvernements Idlib durch eine Erhöhung von Luftangriffen auf extremistische Rebellen, die Haiat Tahrir al-Scham.[15][16][17][18]

Unterstützt wird die Offensive auch von zehntausenden schiitische Milizionären aus Afghanistan, Pakistan, Libanon und dem Irak, die von der iranischen Quds-Brigade aufgestellt wurde.[19]

Der Präsident der Türkei warnte aufgrund der Offensive und im Hinblick auf die bisherige Flucht und Migration über das Mittelmeer in die EU und das Flüchtlingsabkommen zwischen EU und Türkei vor einer neuen Flüchtlingswelle für die Staatengemeinschaft.[17]

Ende Januar 2020 vermeldete die Vereinten Nationen (UN), dass sich seit Dezember 2019 etwa 520.000 Menschen in Idlib auf die Flucht begeben hatten.[20][21] Im Dezember sind demnach alleine südlich der Stadt Idlib mehr als 235.000 Menschen in Richtung Norden des Gouvernements, in die Städte Ariha, Idlib und Saraqib oder in bereits überfüllte Flüchtlingslager an der Grenze zur Türkei, geflohen.[22][23] Eine Uno-Resolution zur Auslieferung von Hilfsgütern über die Türkei in die Grenzregion Syriens wurde von Russland und China im Sicherheitsrat blockiert.[19]

Ende Januar zerstörte die russische Luftwaffe im Rahmen der Verbrannten Erde eines der letzten Krankenhäuser des Gouvernements.[19]

Anfang Februar 2020 kam es zu Kampfhandlungen zwischen den syrischen Streitkräften und türkischen Streitkräften; letztere unterhalten auf Grundlage eines Abkommens mit Russland Beobachtungsposten im Gouvernement.[24][25]

Mitte Februar 2020 berichtete World Food Programm (WFP) von mehr als 140.000 Flüchtlingen innerhalb einer Woche im Februar, sodass sich seit Dezember 2018 insgesamt 800.000 Menschen in Idlib auf die Flucht begeben hatten. Davon sind laut WFP 80 % Frauen und Kinder.[26] Alleine nahe der Stadt Idlib leben der UN zufolge 80.000 Flüchtlinge mangels geeigneter Unterkünfte bei Minustemperaturen in unbeheizten Zelten; dadurch kam es zu Kältetoten.[27]

Das Gouvernement ist in fünf Distrikte (Mintaqa) unterteilt:

Distrikt Orte (Hauptort in Fettschrift)
Ariha Ariha, Ihsim, Muhambal
Harim Armanaz, ad-Dana, Harim, Kafr Tacharim, Qurqina, Salqin
Idlib Al Fu'ah, Abu z-Zuhur, Binnisch, Idlib, Kafarya, Maʿarrat Misrin, Saraqib, Sarmin, Taftanaz
Dschisr asch-Schughur Bidama, Darkusch, al-Dschanudiyya, Dschisr asch-Schughur, Maland, Yacoubeh
Maʿarat an-Nuʿman Chan Schaichun, Hisch, Kafr Nabl, Maʿarat an-Nuʿman, Sindschar, at-Tamanaʿa
Commons: Gouvernement Idlib – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 29. Dezember 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/bevoelkerungsstatistik.de World Gazetteer
  2. Patrick Cockburn: While defeat of Isis dominates global attention, al-Qaeda strengthens in Syria. The Independent, 7. September 2017
  3. Martin Chulov: Syrian rebels and families begin exile from besieged Ghouta, in: The Guardian, 22. März 2018
  4. Beobachter: Syrische Armee vor Offensive in Idlib. Deutsche Welle, 11. August 2018.
  5. Krieg in Syrien: „Die letzte enorme Sorge ist Idlib“. Zeit Online, 9. August 2018.
  6. Dominik Peters, Maximilian Popp, Christoph Sydow: Bürgerkrieg in Syrien: Idlib steht vor einem Inferno. In: Spiegel Online. 23. Juli 2019, abgerufen am 27. Juli 2019.
  7. a b More Children Killed in Idlib in Last Four Weeks than All. of 2018. Abgerufen am 27. Juli 2019 (englisch). savethechildren.org
  8. Syria, Russia air attacks hit Idlib’s hospitals. AlJazeera, 4. Juni 2019; “at least 26 medical facilities have been hit”.
  9. Martin Chulov Middle East correspondent: Russia and Turkey landgrab 'behind fresh Syria bombardment'. In: The Guardian. 8. Mai 2019, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 27. Juli 2019]).
  10. a b c Christoph Sydow: Uno-Warnung zu Syrien: „In Idlib droht die schlimmste humanitäre Katastrophe des Jahrhunderts“. In: Spiegel Online. 5. Juni 2019, abgerufen am 27. Juli 2019.
  11. Martin Chulov: Russia and Turkey landgrab ‘behind fresh Syria bombardment’. The Guardian, 8. Mai 2019
  12. Maximilian Popp: Flüchtlinge in der Türkei: Die Stimmung ist gekippt. In: Der Spiegel. Nr. 31, 2019 (online).
  13. Syria’s Idlib ‘on the brink’ of a nightmare, humanitarian chiefs warn, launching global solidarity campaign. In: news.un.org. 27. Juni 2019, abgerufen am 27. Juli 2019 (englisch).
  14. a b After tens of attempts…the regime forces advance in the strategic village of Tal Melh north of Hama after preliminary heavy ground and aerial firepower by the regime and its helicopters. Abgerufen am 29. Juli 2019.
  15. Syrien: Berichte über Dutzende Tote bei Kämpfen in Idlib. Tagesschau (ARD), abgerufen am 23. Dezember 2019.
  16. UN: Russland und China blockieren Hilfsprogramm. Tagesschau (ARD), abgerufen am 23. Dezember 2019.
  17. a b Luftangriffe in Nordsyrien: Erdogan warnt vor „neuer Migrationswelle“. In: Spiegel Online. 23. Dezember 2019 (spiegel.de [abgerufen am 23. Dezember 2019]).
  18. Dominik Peters, Maximilian Popp: Kampf um syrische Provinz Idlib: Flucht aus dem Inferno. In: Spiegel Online. 27. Dezember 2019, abgerufen am 28. Dezember 2019.
  19. a b c Maximilian Popp, Christoph Reuter: Putin und Erdoğan im Kampf um Idlib: Werden die Waffenbrüder zu Feinden? In: Der Spiegel. Nr. 7, 2020 (online).
  20. Offensive in Syrien: Hunderttausende fliehen vor Kämpfen. Tagesschau (ARD), abgerufen am 5. Februar 2020.
  21. Susanne Koelbl: Idlib: Ein Flüchtling berichtet vom Bürgerkrieg in Syrien. In: Spiegel Online - Politik. Abgerufen am 5. Februar 2020.
  22. 235.000 Menschen fliehen nach Angriffen in Nordsyrien. Tagesschau (ARD), abgerufen am 5. Februar 2020.
  23. Angriffe auf Idlib: Warnung vor "humanitärer Katastrophe". Tagesschau (ARD), abgerufen am 5. Februar 2020.
  24. Nach Angriff auf türkische Soldaten: Gefechte zwischen Türkei und Syrien. Tagesschau (ARD), abgerufen am 5. Februar 2020.
  25. Anna-Sophie Schneider, Maximilian Popp: Syrien: Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin kämpfen um Idlib. In: Spiegel Online – Politik. Abgerufen am 14. Februar 2020.
  26. Leonie Voss: Syrien: 800.000 Menschen in Syrien auf der Flucht. In: Spiegel Online – Politik. Abgerufen am 15. Februar 2020.
  27. Leonie Voss: Syrien: 800.000 Menschen in Syrien auf der Flucht. In: Spiegel Online – Politik. Abgerufen am 15. Februar 2020.